Montag, 29. Oktober 2007

20.10.2007

Diese Woche war mehr oder weniger eine weitere Woche der Orientierung. Ich habe beschlossen mir einen Roller zuzulegen. Zusammen mit Thomas, der ein überaus geschäftsmäßiges Verhandlungsgeschick besitzt, aber leider nur auf Deutsch, fuhren wir zu einem Rollerhändler. Wie üblich mit Händen und Füßen versuchten wir einen guten Deal für mich zu finden. Nachdem ich ein besonders schönes Modell für mich ausgesucht hatte verabschiedeten wir uns und ich hinterließ meine Handynummer. Ziemlich blöder Fehler von mir eigentlich, denn nicht nur, dass diese für Werbezwecke missbraucht wurde, nein auch an andere Kunden, die mich im Laden gesehen hatten und kennen lernen wollten, wurde sie herausgegeben. Schon bald erfreute ich mich zahlreicher sms eines übermotivierten Feuerwehrmannes, der mich inständig bat mein Freund werden zu dürfen! Nicht zu antworten ist nicht unbedingt eine Taktik, die in diesem Land zum Erfolg führt. Beziehungsweise nimmt die Frequenz an sms nur sehr langsam ab, wenn man nicht antwortet. Überhaupt stehen Paraguayer sehr auf sms. Auch von meinen männlichen Arbeitskollegen werde ich überschüttet mit überaus uninformativen sms, die einzig und allein der Fortführung der Kommunikation dienen. Immerhin kreativ sind sie, denn eine ausbleibende Beantwortung führt zu einem großen Variationsspektrum des allseits beliebten „Wie geht’s?“ auf Spanisch. Mir ist die Woche über außerdem aufgefallen, dass die Paraguayer und natürlich auch die –innen ganz schöne Weicheier sind. Ich kann es bald nicht mehr hören so oft wie mir am Tag gesagt wird, dass dies und jenes und überhaupt alles gefährlich ist. Wenn ich mich nach den vielen Ratschlägen richten würde müsste ich mich wohl bei mir im Haus verbarrikadieren und hoffen, dass bald das halbe Jahr rum ist und ich nach Hause darf. Verglichen mit ein paar Gegenden in Rio erscheint mir Paraguay jedoch eigentlich recht ungefährlich muss ich sagen. Es wäre schon grob leichtsinnig, wenn ich mit meiner funkelnden Digitalkamera und meinem blonden Haar alleine durch ein Ghetto laufen würde, aber so lange ich das unterlasse und gewisse Gegenden bei Nacht vermeide werde ich wohl weniger Probleme haben als in Rio zum Beispiel. Ein besonders zartes paraguayisches Pflänzchen, das ich diese Woche kennen gelernt habe heißt Patricia. Sie bewegt sich eigentlich nur von der Wohnung ihrer Eltern zu „Shopping Del Sol“, einem bewachten Einkaufszentrum der obersten Luxusklasse, um anschließend den Abend im Club Centaurion ausklingen zu lassen. Dorthin hat sie Filzbeutel-Thomas und mich dann auch zum Abendessen eingeladen. Dieser Club ist mehr als ein Fitnessclub. Es ist eine riesige durch eine Mauer vom Rest der Welt abgeschirmte Luxusinsel, auf der man sowohl alle möglichen Sportarten ausüben, sich die Haare schneiden lassen, Essen oder in die Disco gehen kann. Sprich eigentlich alles, was man draußen in der gefährlichen Welt auch unternehmen kann nur mit dem Unterschied, dass allen denen das nötige Kleingeld fehlt der Zugang verwehrt wird. Mir stand eigentlich die komplette Zeit, die wir auf diesem künstlichen Gelände von außergewöhnlicher Schönheit verbracht haben, der Mund offen. Aus dem Kontext der Worte, die an diesem Abend aus der hübschen Paraguayerin kamen konnte eigentlich auch viel über die paraguayischen Frauen geschlossen werden. Sie erachten sich selbst nicht als so wichtig und bedeutend wie die Männer und haben sich mehr oder weniger daran gewöhnt, dass ihre Männer sich deswegen auch nicht nur mit einer Frau zufrieden geben können sondern mindestens noch 2 weitere benötigen. Ich hoffe nur, dass ich noch andere Paraguayerinnen kennen lernen werde, die mein etwas in Schieflage geratenes Bild von den Frauen hier wieder gerade rücken. Besonders gelungen war diese Woche der Freitagabend.








Nach deutscher Gepflogenheit haben sich die Deutschen untereinander organisiert und zu sechst begannen wir den Abend recht früh mit einem Glas Wein.

















In der wunderbaren Absicht deswegen auch früher ins Bettchen gehen zu können. Leider ist in Asuncion selten etwas vor 1 Uhr los. Gegen zwei wurden wir dann von Paraguayerinnen in einen Club etwas außerhalb geschleppt.

Ich und eine andere Deutsche konnten uns aufgrund unserer blonden Haare dort kaum noch helfen. Mir ist fast komplett die Lust am Kennenlernen von Einheimischen vergangen, nachdem ich mich fühlte wie ein Kadaver, der von Geiern umkreist wird. Zusätzlich erschwerte die laute Musik, die an die Musik in der Nähe von Autoscoutern auf Jahrmärkten erinnerte, dass ich richtig verstehen konnte was ich gefragt wurde. Die Situation empfand ich alles in allem recht frustrierend. Vor allem die Tatsache, dass ich ja Paraguayer kennen lernen möchte, aber sich das aufgrund von Sprachschwierigkeiten und kulturellen Unterschieden wohl doch etwas schwierig gestaltet. Ein junger Mann hat es jedoch geschafft sich herauszukristallisieren, der sich die Mühe gab mein spanisches Gebrabbel zu verstehen und in so einfachen Worten zu reden, dass selbst ich nicht mehr ständig auf dem Schlauch stand. Wir waren immer noch am Reden, als dann irgendwann die Sonne aufging. Samstag habe ich deswegen eigentlich komplett verschlafen um abends dann wenigstens mein Interview mit einem Chirurgenteam aus Deutschland durchführen zu können. Es ist schon interessant was für Leute man hier in Paraguay trifft. Es sind entweder besonders miese Leute, die Paraguay als Billigland und Steueroase betrachten und den größtmöglichen Profit aus dieser Situation ziehen wollen oder Menschen, die genau dem Gegenteil entsprechen und nach einem anderen Lebensmotto leben:

„Wenn jeder, entsprechend seiner Fähigkeiten, seinen Teil zum Funktionieren der Gesellschaft beiträgt, können großartige Dinge vollbracht werden. Manchmal kann sogar die Ungerechtigkeit der Natur ausgeglichen werden. Wie so eine erfolgreiche Hilfeleistung aussehen kann, zeigte eine überaus couragierte Gruppe zusammengewürfelt aus Fachärzten und Assistenten aus Deutschland und Österreich. Sie haben finanziell schwachen Menschen die Möglichkeit gegeben, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. In diesem Fall ist dies nicht nur bildlich gesprochen, sondern darüber hinaus durchaus auch wörtlich gemeint. Die auf Rekonstruktionsoperationen an Händen, Gesicht, Beinen und Sehnen spezialisierten Chirurgen Prof. Dr. Wolfgang Stock von der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Prof. Dr. Heribert Hussl von der Universitätsklinik Innsbruck operierten Ende Oktober kostenlos 70 Paraguayer, denen die finanziellen Möglichkeiten für eine Operation fehlten. Darunter viele Einzelschicksäle, denen aufgrund des Einsatzes der Ärzte das Leben wieder ganz neue Möglichkeiten bietet. Zum Beispiel kann jetzt ein kleiner Junge aus Santa Rita seine durch Brandwunden komplett funktionsunfähig gewordenen Hände wieder normal bewegen und einsetzen. Die Spezialisten aus Europa werden für ihren Einsatz nicht bezahlt, sondern nutzten ihre Urlaubszeit, um durch ihre Hilfe ihren Beitrag an der Gesellschaft leisten zu können. Abgesehen davon genießen sie es in Paraguay den hippokratischen Eid, bei dem die Versorgung des Patienten an erster Stelle steht, fernab von bürokratischer Überregulierung frei ausüben zu können.“ (Aktuelle Rundschau Paraguay, Rafaela R.)

Am Sonntag ließ ich die Woche in Gesellschaft von Juan Manuel ausklingen.

Ein 25 jähriger Paraguayer, der es sich trotz seiner etwas schwachen Finanzlage zur Aufgabe gemacht hatte, einen unvergesslichen Abend mit mir zu verbringen. Er ist eigentlich der erste, mit dem ich mich richtig gut auf Spanisch unterhalten habe. Das ist zu einem großen Teil aber auch ihm zu Gute zu halten, weil er sich doch einige Mühe geben musste, um die falsch zusammen gesetzten Sätze so für sich zu sortieren, dass sie wieder Sinn machen. Immerhin haben wir so mehrere Stunden zusammen verbracht ohne, dass einem von uns beiden langweilig gewesen wäre. Es tat mir ein bisschen Leid, dass er für seine Verhältnisse wahrscheinlich recht viel für mich ausgegeben hat, weil die Männer hier ja schließlich drauf bestehen alles zu bezahlen und ich mich irgendwann bei dem Gedanken ertappte, dass mir definitiv eine nettere etwas teurere Bar einfallen würde, die das Wort Gemütlichkeit etwas mehr verinnerlich hat. Mich störte es dann auch etwas, dass ich kein Taxi alleine nach Hause nehmen konnte, weil er darauf bestand, mich in dem Taxi nach Hause zu begleiten. Die Begründung war die übliche: weil es gefährlich für ein Mädchen ist alleine IRGENDETWAS zu machen! Mit meinem deutschen Gefühl von Unabhängigkeit lässt sich das alles nur schwer vereinbaren und ich bin sehr glücklich, wenn ich endlich meinen Roller habe, mit dem ich dann die ganze Diskussion umgehen kann. Er ist anschließend nahezu zwei Stunden nach Hause gewandert, weil um die Uhrzeit keine Busse mehr fahren!

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