Mittwoch, 8. Oktober 2008

Die Kolonie Neufeld in Paraguay, Traum oder Alptraum?


Paraguay – Land der unbegrenzten Möglichkeiten - ein Traum für viele Russlanddeutschen, die sich durch Viehzucht und Landwirtschaft innerhalb einer solidarischen Gemeinschaft eine Existenz aufbauen wollen. Diesen Traum sahen Nadja und ihr Mann Vladimir Kononov in greifbare Nähe gerückt, nur erahnten sie nicht, welcher Alptraum sie wirklich erwartete.


Ich muss sagen, meine Neugier war groß, viele haarsträubende Geschichten habe ich in der Vergangenheit von Rückkehrern aus der Kolonie Neufeld hören dürfen. Nun war sie da, die Gelegenheit! Ich konnte Nadja Kononov beim Kampf um ihr Hab und Gut, das sie keinen Tag länger in der Kolonie behalten wollten, begleiten.
Mit richterlichem, anwaltlichem und polizeilichem Beistand machten wir uns um die Mittagszeit am 22. September 2008 auf den Weg zur Kolonie Neufeld. Nadja Kononov erzählten mir auf der Hinfahrt, dass sie sich von den professionellen Werbevideos und den Verheißungen von Nicolai N. blenden ließen. „Wir haben uns erlaubt, die Missstände in der Kolonie offen anzusprechen, was die anderen Kolonisten aus Angst vor Repressalien eben nicht tun. Nach langem Abwägen haben wir uns dann entschlossen, die Kolonie zu verlassen und gegen die Machenschaften des Nikolai N. gerichtlich vorzugehen. Das brachte uns auf die schwarze Liste der Kolonie, und uns wurde der Zugang zur Kolonie, zu unserem Hab und Gut verweigert". So verbrachte Nadja einige Tage zuvor fünf Stunden in glühender Hitze mit schreiendem Baby auf dem Arm vor dem Eingangstor der Kolonie und forderte ohne Erfolg Einlass.
Ich hakte nach, und fragte nach den Hauptbeweggründen, die Kolonie Neufeld zu verlassen.
Nadja sah mich an und meinte: „Nun, nicht jeder sieht es als seine Erfüllung an, in der Kantine zu arbeiten, um den ganzen Tag Essensgerüche einzuatmen. Insbesondere, wenn man von den Neufeld-Organisatoren in Deutschland Berufe wie Reiseleiter oder Journalistin in Aussicht gestellt bekommt, trifft einen dann das Schicksal einer Schweinezüchterin oder eines Wegebauers doch schon sehr hart." Auch die Schulausbildung für ihre älteren Kinder entsprach nicht ganz den Vorstellungen, die sie sich bei den Werbeveranstaltungen für die Kolonie gemacht hatte. Endgültig ausschlaggebend für das Verlassen der Kolonie war für Nadja neben vielen anderen Gründen jedoch die fehlende medizinische Versorgung. Die schön eingerichtete Arztpraxis wird zwar durch einen hochmodernen Zahnarztstuhl und ein perfektes Stillleben dekoriert. Jedoch hilft das Lächeln der Arzthelferin mit Häubchen wenig, wenn ein richtiger Notfall ins Haus steht. Nadja, damals schwanger, konnte sich auch nicht vorstellen, dass die Distanz bis nach Caazapa über die Schotterwege rechtzeitig bewältigt werden konnte, ohne dass dabei sie oder das Kind gesundheitlichen Schaden nähme.
Mit starrem Blick auf die riesigen Schlaglöcher und Pfützen, mit den Händen verkrampft in die Halterungen des Autos, verbrachten wir die letzten zwei von sechs Fahrtstunden auf dem Weg zur Kolonie Neufeld.
Ein vom Ärger der Welt weit entferntes idyllisches Landleben hat seinen Preis, und den muss jeder Besucher bezahlen, der sein Auto auf den matschigen und lehmigen Erdwegen bis hin zur Kolonie quält. Anfängern wie uns kann es dann auch schon mal passieren, dass man die Tiefe einer Pfütze falsch einschätzt und zum eigenen Schaden inmitten der großen Schlammlöcher stecken bleibt. Aufgrund dieses kleinen Zwischenfalls erreichten wir die Kolonie auch erst nach Einbruch der Dunkelheit. Dort erfuhren wir, dass der Anwalt und die Richterin Alicia Fariña, die vorausgefahren waren, die Kolonie schon wieder in Richtung Caazapa verlassen hatten. Auf zum Endspurt nach Caazapa, denn wir brauchten das teuer durch Anwaltskosten erkaufte, mit zahlreichen Stempeln versehene Papier mit der richterlichen Anweisung, um Kononovs Hab und Gut in der Kolonie in Empfang nehmen zu können. Ohne dieses Papier und einen zur Überwachung in der Kolonie stationierten Polizeiposten wäre Nadja der Zutritt wohl weiterhin verweigert worden.
Am nächsten Morgen um vier Uhr holperten wir zum zweiten Mal über Pfützen und ausgefahrene Spuren in Richtung Kolonie-Neufeld, um dann pünktlich gegen sieben Uhr hinter den sieben Bergen bei den 200 Kolonisten einzutreffen. Bewaffnet mit einer Kamera warteten auf uns die Sekretärin und der Sohn des Vorsitzenden der Kolonie. Nadja geriet leicht ins Stocken, als sie mit auf sie gerichteter Kamera, selbst nur mit einem Papier bewaffnet, einfordern musste, was ihr gehörte. Sofort richtete sich die Kamera bedrohlich auf mich, als ich fragte, warum ein solcher richterlicher und polizeilicher Einsatz überhaupt nötig sei. Barsch wurde ich aufgefordert bekannt zu geben, wer ich bin und für wen ich arbeite. Geoutet als Journalistin erhielt ich vorerst keine weiteren Antworten. Daraufhin versuchte ich hartnäckig, die Kolonisten zu interviewen, um für eine objektive Berichterstattung ein paar positive Dinge über die Kolonie zu erfahren. Ein Gespräch mit einem jungen Mann wurde jäh von einem Zwischenruf der Sekretärin der Kolonie unterbrochen. Dies wäre nicht nötig gewesen, weil der junge Mann ausschließlich positiv um den heißen Brei herumredete.
Nachdem wir stundenlang zugeschaut hatten, wie das Umzugsgut von dem einen in den anderen Container verladen wurde, verwunderte es Nadja ein wenig, dass sehr wenige Kolonisten sich bei dem Spektakel sehen ließen.
Die Frage stellt sich, wie sich die durch die Abgeschiedenheit verstärkte Abhängigkeit der Kolonisten von dem einzigen Arbeitgeber in dieser Einöde auf das Verhalten auswirkt. Eine Frage, der man bei einem so kurzen Besuch nicht auf den Grund gehen kann, und über die ich mir auch keine Mutmaßungen erlauben werde. Es ist nur bedauerlich, dass es eine sogenannte schwarze Liste gibt, mit der die Geschäftsleitung der Neufeld-Kolonie einen psychologischen Druck auf die Kolonisten und Ex-Kolonisten aufbaut.
Gegen Mittag, als sich alle Kolonisten zum gemeinsamen Mittagessen in der Mensa einfanden, wurde Nadja ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie nicht erwarten dürfe, hier etwas zu Essen zu bekommen. Sie sei schließlich nicht dazu eingeladen worden, sich auf dem Privatgelände von Nikolai N. aufzuhalten.
Mit einem großen Hungergefühl im Magen wird einem gleich doppelt bewusst, wie sehr jemand in dieser Abgeschiedenheit angewiesen ist auf das Gutdünken der Kolonie. Kurzzeitig wurde auch mir ganz flau im Magen, denn auch ich hatte mir nichts zu essen in diese Einöde mitgenommen. Aber außer Nadja durften wir alle teilnehmen am reichhaltigen, überaus leckeren Essen. Die Atmosphäre und das Ambiente in der mit Menschen gefüllten Kantine rief bei mir Erinnerungen an Lehrbücher über Kolchosen und die DDR wach, in denen die Arbeitsteilung, das Aufgehen des Einzelnen in der Gemeinschaft als Hauptbestandteile der sozialistischen Lebensweise beschrieben wurden. Jedem Teil der Gemeinschaft gebührt aufgrund dieser Philosophie auch der gleiche Lohn, was auch von der Administration der Kolonie so gehandhabt wird. Unabhängig vom Beruf, der Erfahrung oder dem Einsatz für die Arbeit verdienen Männer 500 Dollar und Frauen 400 Dollar im Monat als Angestellte der Kolonie. Zusätzlich zahlt die Administration jedem Angestellten das Mittagessen in der ordentlich eingerichteten Kantine.
Im Laufe der sich hinziehenden Umzugsangelegenheit wurden die Sekretärin und der Sohn des Geschäftsführers der Kolonie etwas gesprächiger und verwiesen auf die Fortschritte, die die Kolonie in der letzten Zeit gemacht hat. „Wir sind eine Kolonie im Aufbau, die bestimmt noch verbesserungsbedürftig ist," gab er zu verstehen.
Dass sich die Kolonie wirklich im Aufbauprozess befindet, konnte ich anhand von Nadjas Erzählungen nachvollziehen. Sowohl die neue Mensa als auch eine Eisdiele hat man während ihrer längeren Abwesenheit fertiggestellt. Die von Nadja als nahezu menschenunwürdig beschriebenen „Notwohnungen" sind fast alle leerstehend, da die Leute privat günstiger wohnten oder ganz schnell selber gebaut haben. Zudem, erklärte der Sohn des Geschäftsführers, hätten sie die Preise für die Notwohnungen etwas gesenkt. Vergliche man den Mietpreis der Notwohnungen (Einzelzimmer) früher mit den Mietangeboten der Landeshauptstadt, bekäme man in Asunción dafür schon ein Haus mit Pool.
Dann war es soweit, Nadja bestätigte dem Polizisten mit ihrer Unterschrift, dass sie den kompletten Inhalt ihres Containers erhalten hat. Der unmittelbare Aufbruch aus der Kolonie stand bevor, da überreichte die Sekretärin mit einem strahlenden Lächeln Nadia eine saftige Rechnung über 900,00 Euro für eine Lagerplatzmiete von 9 Monaten. Schließlich hatte der 40 Fuß Container innerhalb des 25.000 Hektar großen Geländes von Nikolai N. einen beachtlichen Platz in Anspruch genommen, der auch seinen Preis hatte. Ungläubig schauten alle Beteiligten auf die in Euro ausgestellte Rechnung der sich noch in Gründung befindlichen Neufeld-Kolonie, die weder über eine Steuernummer, noch über eine ratifizierte Rechtsform verfügt. Denn hier ist immer noch Nicolai N. der alleinige Eigentümer und Herrscher über seine Kolonie.
Nach einem kurzen, fassungslosen Innehalten griff jeder zum Handy, um herauszufinden, ob diese Forderung nun rechtmäßig sei und ob Nadja, nachdem sie erst nicht rein gelassen worden war, nun festgehalten werden könne, bis sie den geforderten Betrag bezahlt habe. Zum Glück hatte die Nationalpolizei die richterliche Anweisung, dass Nadja zusammen mit dem Container die Kolonie verlassen musste, da half auch der spontane Einfall der Kolonieverwaltung nichts. Glücklich verließen wir spät abends die Kolonie, und uns blieb auf dem langen Rückweg genug Zeit, das Erlebte zu verdauen.



















Foto Nr. 1: Aufgrund von Statikproblemen musste der Bau der Schule eingestellt werden


















Foto Nr. 2: Die Polizei, der Freund und Helfer von Nadja, überwacht die ordnungsgemäße Verladung des Umzugsgutes



















Foto Nr. 3: Ein herrliches Ambiente bietet die Kolonie den Touristen, die ein paar Schnuppertage in der Kolonie absolvieren

















Foto Nr. 4: Nadja Kononov und Richterin Alicia Fariña

















Foto Nr. 5: Selbst unser Geländefahrzeug war diesen Pfützen und Matschlöchern nicht gewachsen




Artikel erschienen in der Aktuellen Rundschau