Donnerstag, 8. Januar 2009

Kinderlos im Land der Kinder


Das Ehepaar Smith aus England lebte viele Jahre ohne eigenen Nachwuchs in Paraguay, bevor sie sich entschieden, etwas gegen ihre Kinderlosigkeit zu unternehmen. Obwohl sie eine große Anzahl an dubiosen Angeboten erhielten, nahmen sie den langen und komplizierten legalen Weg der Adoption auf sich.

Kleine Kinderfüße laufen einem fast überall in Paraguay über den Weg. Durch die Scheiben des Autos schauen einen braune Kinderaugen an, die ein paar Guarani erbetteln wollen, im Bus versuchen Kinderhände, Erfrischungsgetränke zu verkaufen, teilweise zu dritt stapeln sich Kinder auf den Motorrädern ihrer Eltern. Diese Bilder berühren besonders diejenigen stark, die selbst keine Kinder bekommen können. Das Ehepaar Smith, das sich vor vielen Jahren entschloss, England zu verlassen, um im Dienste der Anglikanischen Kirche seinen sozialen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten, gehörte dazu. Zahlreiche Angebote erreichten sie von schwangeren paraguayischen Frauen, die für ein bisschen Geld gerne dazu bereit waren, auf dem Geburtsschein den Namen von Frau Smith als Mutter eintragen zu lassen. Eine illegale Adoption kam jedoch für das christliche Ehepaar auf keinen Fall in Frage. Im November 2000 stellten sie deswegen vor dem Adoptionscenter auf der Avda. Mariscal Lopez das erste Mal den Antrag, ein Kind legal adoptieren zu dürfen. Obwohl viel Papierkram eingereicht und zahlreiche Gespräche mit psychologischen Gutachtern geführt werden mussten, empfanden die Smiths den Zulassungsprozess als leicht. „Das was danach kam, zog sich sehr in die Länge, oft waren wir in völliger Unsicherheit darüber, wo wir uns im Adoptionsprozess befanden, was noch kommen würde und wie lange wir noch warten müssten“, gab Herr Smith zu verstehen. Sie hatten in ihrem Antrag keine besonderen Ansprüche gestellt, alle Jungen oder Mädchen unter 3 Jahren waren bei ihnen willkommen, so lange nur endlich das Haus mit Leben gefüllt wurde, erklärt das Ehepaar. Fast ein Jahr nach Antragstellung erhielten sie im August 2001 endlich den heiß ersehnten Anruf: “Wir haben ein 9 Monate altes Mädchen für Sie und müssen nur noch ein paar kleine Details klären“, lautete die Ansage des Adoptionscenters. Vor lauter Aufregung und Glück wurden in den folgenden 2 Wochen, in denen keine weitere Neuigkeit folgte, schon die ersten Babyklamotten in pink von Familienmitgliedern gekauft. Als die Smiths voller Vorfreude auf eine Tochter anschließend zu einem Termin gebeten wurden, zeigte man dem Ehepaar die Fotos von einem männlichen Geschwisterpärchen, 9 Monate und 2 Jahre 10 Monate alt. Nach dieser überraschenden Wendung ließ man ihnen 10 Minuten Zeit, um sich zu überlegen, ob sie die Brüder persönlich kennenlernen wollten. „Nachdem wir die Kinder gesehen hatten, ließ man uns genau 24 Stunden Zeit, um zu überlegen, ob wir im Adoptionsprozess voranschreiten wollten.“ Das Ehepaar sagte jedoch sofort zu. Nach zahlreichen Besuchen im Kinderhort war es dann endlich so weit: Die beiden Jungs durften nach einer Woche mit nach Hause genommen werden. Im Fall des Geschwisterpärchens hatte das Adoptionscenter sehr darauf gedrängt, dass sie endlich in eine Familie integriert wurden, obwohl die Freigabe zur Adoption noch nicht statt gefunden hatte. Nachdem die leibliche Mutter sich nicht in der Lage sah, die Kinder zu behalten, waren sie nach einem Aufenthalt im Kinderhort zu ihrer Großmutter gebracht worden. Nach vielen Bemühungen hatte aber auch die alte Dame einsehen müssen, dass ihr fortgeschrittenes Alter und die soziale Situation nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für die Erziehung von Kindern bot. Es muss ein harter Schlag vor allem für das ältere der beiden Kinder gewesen sein, als sie auch nach dem zweiten Anlauf wieder zurück in den Kinderhort mussten. Diese Erinnerungen mussten in dem neuen liebevollen Umfeld von Familie Smith erst einmal verarbeitet werden. Erst im Dezember 2002 erfolgte die endgültige Adoption. „Diese Zeit war sehr schwer für uns, wir lebten immer in der Sorge, dass die leiblichen Eltern doch noch Ansprüche auf die Kinder stellen könnten, außerdem durften wir mit den Kindern nicht das Land verlassen, bis der Richterspruch erfolgt war“, gibt Herr Smith zu verstehen. Der endgültige Richterspruch zog sich auch deswegen so lange hin, weil der kleinere der beiden Jungen noch nicht einmal offiziell registriert oder mit einem Namen versehen war, erklärt Frau Smith. Erneut auf Schwierigkeiten stießen die Smiths, als sie zu Weihnachten ihre Familien in England zusammen mit den Kindern besuchen wollten. Die Kinder, die ihre paraguayische Nationalität trotz Adoptionsprozess beibehalten, brauchten ein Visum, um Urlaub bei den Großeltern machen zu können. Bei der Einreise in ihr Heimatland wurden die Smiths von den Beamten ins Kreuzverhör genommen, damit die englischen Behörden ausschließen konnten, dass Kinderhandel betrieben wurde oder sich die Smiths mitsamt den Kindern einfach nur ins soziale Netzwerk des Landes fallen lassen wollten.
Trotz all der Probleme entschieden sich die Smiths im Juli 2004, erneut den langwierigen Prozess einer Adoption auf sich zu nehmen, diesmal in der Hoffnung, ein Mädchen zu erhalten, das so jung wie möglich ihnen übergeben würde. Im November 2005 lernten sie ein 16 Monate altes Mädchen kennen, über dessen Vergangenheit dem Adoptionscenter rein gar nichts bekannt war. „Obwohl keinerlei Angehörige im Spiel waren, haben die Richter sich trotzdem sehr viel Zeit mit der Freigabe zur Adoption gelassen“, schildert Frau Smith. Sie bedauert sehr, dass sie das kleine Mädchen nicht schon viel früher hatten zu sich nehmen können. Im September 2006 erließ der Richter den lang erhofften Schiedsspruch und übertrug das Sorgerecht den Smiths. „So viele Male mussten wir das Gericht in Luque aufsuchen, zusehen, wie sie unseren Fall aus riesigen Papierbergen herausfischten, nur um dann zu erklären, dass es immer noch keine Neuigkeiten im Fall gab.“ Weiter erklärt Herr Smith, dass ihr Anwalt das Urteil auf seinem Drucker zur Vorlage für den Richter ausdrucken musste, weil die Behörde nicht einmal mit dem entsprechenden technischen Zubehör ausgestattet war. „Die Erfahrung, die wir gewonnen haben aus unserer langen Zeit des Wartens und Hoffens und im Umgang mit Kindern, die einiges durchmachen mussten, bevor sie eine liebende Familie gefunden haben, wollten wir gerne weiter geben“, erklärt Herr Smith. Deswegen haben sie die Anglikanische Kirche dabei unterstützt, den kleinen Kinderhort „Esperanza“ zu eröffnen. Hier werden nicht wie anderswo an die 30 Kinder mit dem Nötigsten versorgt, sondern nur 5 Kinder bekommen dort die Liebe und Fürsorge, die für die frühe Entwicklung so wichtig ist. „Wir merken den Unterschied, den eine liebevolle individuelle Pflege ausmacht, sehr stark an unseren Kindern“, schildert das Ehepaar. Das kleine Mädchen war im Gegensatz zu ihren beiden Geschwistern schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt einer Pflegefamilie übergeben worden und verbrachte die meiste Zeit in einem liebevollen familiären Umfeld, was keinerlei negative Spuren hinterlassen hat.
Auf die Smiths kommt jetzt eine weitere harte Probe zu: Aufgrund der turbulenten und teilweise kriminellen Adoptionsvergangenheit von Paraguay wird von Groß-Britannien die Adoption nicht als legal anerkannt. In ihrem Heimatland müssen sich die Smiths erneut zahlreichen Prüfungen unterziehen, um offiziell auch dort das Sorgerecht zu erhalten. Da sie sich entschieden haben, wieder nach England zurück zu kehren, wird die Adoption, diesmal von englischen Behörden, nochmal komplett aufgerollt. Ihnen wurde jedoch versprochen, dass dies im Normalfall weniger als ein Jahr dauern soll, da sie ja schon so lange mit den Kindern zusammen leben. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als weiter zu warten und zu hoffen, dass der ganze Prozess bald endgültig abgeschlossen ist. Die Wartezeit wird den Smiths jedoch versüßt durch ihre drei dunkelhäutigen paraguayischen Kinder, die fließend Englisch sprechen und bestens vorbereitet sind auf ein Leben in Europa.