Montag, 15. Dezember 2008

Landwirtschaft im großen Stil

Nachdem ich eine kleine Farm besichtigt hatte, stellte sich mir natürlich die Frage, wie genau sieht landwirtschaftliches Stillleben denn im großen Stil aus? Warum genau fahren die Großgrundbesitzer hier in Paraguay so große Autos und wie bewirtschaftet man ein großes Stück Land in Paraguay, wo die Regierung meist noch nicht mal dafür sorgen kann, dass das Stück Land auch an eine Straße oder an Strom und Wasser angeschlossen ist? Eine Arbeitskollegin von mir machte mich aufmerksam auf die Gruppe Espirito Santo, die nicht nur in Paraguay, sondern weltweit mit Erfolg investiert. Das Erfolgsrezept dieser Gruppe aus Brasilien ist, dass sie nicht einseitig investiert, sondern neben der Finanzbranche auch auf eine Reise- und eine Landwirtschaftliche Branche, so genannte „Real Assets“ vertraut. Mir bot sich ein Einblick in die Geschäfte der Gruppe in Paraguay durch einen Besuch der Estancia Golondrina. Wundervoll gemütlich reiste ich mit dem Direktor der Gruppe Espirito Santo in Paraguay in einem riesigen, durch eine Klimaanlage wohltemperierten Fahrzeug in Richtung der riesigen Wälder und Felder der Farm.





Über einen 17 km langen Erdweg, der von der Ruta 7 ungefähr bei km 235 abzweigt, gelangt man zum Eingang der riesigen Estancia mit Naturwaldreservat. Schon beim Überqueren einer vorbildlich in Stand gehaltenen Brücke erklärte mir der Direktor, dass dies alles von den Besitzern in Stand gehalten wird. Man zahlt in Paraguay zwar gerade mal 10 Prozent Umsatzsteuer, darf jedoch nicht erwarten, dass Wege, Strom oder Wasser einem irgendwie zur Verfügung gestellt werden! Träumerherzen, die sich nichts sinnlicher wünschen, als irgendwann auf dem eigenen Grund und Boden in Paraguay gewinnbringend zu wirtschaften, lässt ein Besuch auf dem 24 000 Hektar großen Grundstück im Departement Caazapa, höher schlagen. Da der Direktor wichtige Dinge zu erledigen hat, stellt er mir einen Forst- und einen Agrarexperten zur Seite, ebenso einen Tourismusverantwortlichen, einen Fahrer und einen großen Jeep und schickte mich los die Weiten der Estancia zu erkunden!

Jeder der Landwirtschaft im großen Stil bewundern möchte, kommt bei einer Fahrt durch das Gelände, vorbei an über 1000 Hektar Sonnenblumen-, 6000 Hektar Soja- und 500 Hektar Baumwollepflanzungen, auf seine Kosten.

Endlos schlängeln sich die angelegten Wege durch Urwald, Baumalleen, an Feldern und Weideland vorbei, bis ans Ende des Horizontes. Auch einen kleinen Einblick in die paraguayische Viehwirtschaft bietet sich dem Auge des Betrachters auf der Estancia: 1500 Rinder der Sorte Braford weiden auf den weitläufigen Flächen. Der komplette Zyklus, von der Reproduktion bis hin zum schlachtfertigen Vieh, wird auf den unterschiedlichen Farmen der Gruppe Espirito Santo in Paraguay vollzogen. Golondrina ist jedoch spezialisiert auf Landwirtschaft und überlässt den Hauptanteil der Viehzucht den anderen über das Land verteilten Estancias. Die hier grasenden Tiere erinnerten nur entfernt an die etwas mageren Kühe, die man auf kleineren Estancias bewundern kann.










Hier wird sich die Mühe gemacht, die Tiere mit Kraftfutter zu versehen in Phasen der Trockenheit. Um diese riesige Estancia erfolgreich bewirtschaften zu können, sind über 230 direkte Angestellte nötig, die in den Erntephasen durch zusätzliches Dienstpersonal ergänzt werden. Die Größenordnung in der die Estancia spielt, verdeutlicht sich an den riesigen Silos, die bis zu 6000 Tonnen fassen können, genauso wie am gigantischen Fahrzeugpark der sowohl Erntegeräte, Lastwagen als auch andere landwirtschaftliche Geräte zur Verfügung stellt.


1976 kam die Unternehmergruppe Espírito Santo nach Paraguay und erwarb den fruchtbaren Boden in Caazapa für gerade mal 130 Dollar pro Hektar. “Sieht man mal von den sich auf dem Boden befindlichen Ressourcen ab, kostet der Hektar heute in der Region um die 2800 Dollar”, erklärt Ingenieur Luis Arrellaga, Generaldirektor der Gruppe Espirito Santo Paraguay. 1977 wurde die Sociedad Agrícola Golondrina S.A. gegründet, die auch heute noch das Herz und Administrationszentrum der Aktivitäten von Espírito Santo Paraguay bildet. Ursprünglich befanden sich auf dem Grundstück 20 000 Hektar Urwald und 4000 Hektar Naturböden. In den ersten Jahren wurde das große Geschäft mit dem Abbau und Verkauf der Baumbestände gemacht, bevor sich ab 87 die heute noch bestehende Viehwirtschaft entwickelte. Auch die Gruppe Espirito Santo hat die Finanzkrise zu spüren bekommen. „Vor allem der Finanzsektor hat starke Einbußen machen müssen, während uns im Agrarsektor der Preisfall, verglichen mit den Spitzenwerten dieses Jahres, von um die 30-45% zu schaffen macht“, schildert Ingenieur Arrellaga. Er erklärt weiter, dass sich die unwahrscheinlich hohen Preise, die Mitte des Jahres erzielt wurden, durch diesen Einbruch nivelliert wurden und sich erst im nächsten Jahr zeigen wird, inwiefern die Finanzkrise für rote Zahlen verantwortlich sein wird.










Ein besonderes Merkmal der Estancia Golondrina ist die Naturwaldbewirtschaftung und die Pflege des Naturwaldreservats Ypetî. Auf über 50 % der Gesamtfläche befindet sich noch größtenteils unberührter Urwald. 2700 Hektar des tropischen Naturwaldes wird seit 2003 ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltig bewirtschaftet. Willson Fleitas ist der Verantwortliche für die Pflege und den Abbau der sich im Wald befindenden 65 Baumsorten. Zur Glaubwürdigkeit einer nachhaltigen Nutzung wurde eine Zertifizierung durch das „Forest Stewardship Council" vollzogen. Weil das Reservat ein hervorragendes Beispiel des für die Region typischen Waldes ist, wurde er zur „geschützten Wildnaturzone in privatem Besitz erklärt“. Das Dekret mit der Nummer 21.346 aus dem Jahr 2003 interessiert die in das Gelände einmarschierten Bauern jedoch wenig. Im Zuge der im Inland immer häufiger vorkommenden Belagerungen von Privatbesitz durch landlose Bauern verstehen die revolutionierenden Bauern den Naturwald als brach liegendes Land, das ihnen zur Verfügung gestellt werden könnte. Ein offener gerichtlicher Prozess gegen die Landbesetzer ist jedoch schon eingeleitet, ein Urteil gegen sie schon gefällt, das nur darauf wartet von der Polizei vollzogen zu werden. Da jedoch im Moment an allen Ecken und Enden im Land gegen Besetzer vorgegangen werden muss, kann schon mal eine gewisse Zeit vergehen, bevor man die nicht geladenen Gäste wieder los wird. In einem wunderschönen Landhaus nahm ich ein hervorragendes Essen zu mir. Journalisten werden in diesem Land wirklich ausgezeichnet behandelt. Mir wird eine kleine Fernbedienung in die Hand gedrückt. Diese betätigt die elektrische Glocke, die den Angestellten mitteilt, dass ich einen Nachschlag wünsche oder irgendetwas anderes wünsche. Da das Essen und der Service jedoch ausgezeichnet waren, habe ich diese nur betätigt, um mich bei den Angestellten zu bedanken und zu verabschieden.


Am Liebsten wäre ich gleich dort geblieben in dem schönen Haus inmitten von Kühen und Weiden, jedoch wollte ich rechtzeitig zum Abendessen wieder bei meinem Liebsten sein. Etwas traurig und total verwöhnt bestieg ich den überfüllten Bus zurück nach Asunción.