Dienstag, 9. September 2008

Warum man im paraguayischen Strassenverkehr kein Mitleid haben sollte

Nahezu keinen Regeln folgend schlängelt sich der Verkehr wirr und fuer manchen undurchschaubar durch Asuncions Strassen. Es scheint das Gesetz des Staerkeren vorzuherrschen. Der Rangordnung nach kommt der grosse 4X4 Jeep an erster Stelle, das normale Auto kaempft in der Mitte, waehrend das Motorrad von keinem beachtet wird und Gefahr laeuft als erstes unter die Raeder zu kommen. Ganz anders sieht die Situation jedoch aus, wenn das Motorrad wirklich mal unter die Reader eines Fahrzeuges kommt. Der kleine Mann kann durch Mitleid an dieser Stelle noch einiges an Geld rausholen, vor allem wenn er auf einen gutmütigen Menschen trifft, der die Gerissenheit nicht gleich durchschaut.

Sehr schuldig fuehlt man sich zuerst, wenn ein armer zahnloser Mensch auf seinem mehr einem Fahrrad als einem Motorrad gleichenden Fahrzeug ungewollt auf das eigene Auto stoesst. Selbst wenn der leichte Aufprall nur einen kleinen Kratzer auf dem Auto und ein etwas verschobenes Vorderrad beim Motorrad hinterlaesst, ohne den Fahrer in Mitleidenschaft zu ziehen. Man verspricht dem Fahrer sofort fuer den Schaden aufzukommen und moechte ihm am liebsten sofort etwas Geld in die Hand druecken, damit er sich wieder besser fuehlt. Man wundert sich auch zuerst nicht, dass dem armen Kerl voellig zu unrecht das Bein weh tut und er zudem ueber leichtes Schwindelgefuehl klagt. Noch schlechter fuehlt man sich dadurch und ist gewillt auf jedes Angebot einzugehen, dass der Mensch einem unterbreitet. Gerade noch rechtzeitig kam bei mir der Anruf meines Freundes, der mir erklaerte, dass wenn ich ihm jetzt Geld gebe er morgen wieder vor meiner Tuer stehen wird und das ganze noch viele Konsequenzen haben wird. Etwas verunsichert bezueglich der Rechtslage zog ich mir dann noch die Hilfe meiner Chefin hinzu, die zusammen mit einem Wachmann am Ort des Geschehens eintraf. Gleichzeitig mit einem von dem Angefahrenen gerufenen Minilaster, der sofort im Begriff war das Motorrad aufzuladen. Wir waren gerade im Inbegriff eine Einigung mit dem Menschen auszuhandeln, die er dann auch vor einem Notar unterschreiben sollte mit der Klausel, dass beidseitig keine weiteren Verpflichtungen bestehen, als mein Freund darauf bestand wegen der Versicherung die Verkehrspolizei hinzu zu rufen. Aufgrund des geringen Schadens wollte ich dies eigentlich vermeiden, aber so fuhren wir die beiden zu Schaden gekommenen Fahrzeuge plus Insassen zur Verkehrspolizei, fuer eine hohe Gebuehr des Transportfahrzeuges versteht sich. Dort angekommen nahmen wir stundenlang den Schaden in Augenschein, fuellten Formulare aus und erstellten Skizzen des Tathergangs. Als der junge Mann seinen Führerschein vorzeigen sollte hatte er keinen. „Dann übernimmt die Versicherung eh nicht den Schaden des Motorrads“ teilte mir der Polizist mit. Als die Polizei mir andeutete, dass sie sein Motorrad gleich hierbehalten wuerden und das er ne Million Strafe zahlen muesste, um seinen Fuehrerschein nachtraeglich zu beantragen, konnte ich dies dem armen Menschen natuerlich nicht antun, den ich ja schliesslich angefahren hatte.
Ein Zurückziehen der Anzeige kostet 360 000 Guarani. Es bestand auch die Moeglichkeit dem netten Beamten einfach ein Drittel des Betrages in die Hand zu druecken, ohne einen Beleg zu erhalten. Bei den hohen Summen, die ueber den Tisch gingen, witterte der junge Angefahrene dann doch eine einmalige Gelegenheit auf die Schnelle ein bisschen Geld zu verdienen. Hatter er vorher noch hoch und heilig versprochen, keinen weiteren Ärger zu machen, wenn ich die Anzeige zurueck ziehe, ging es ihm ploetzlich so schlecht, dass er nicht sicher war, ob er morgen arbeiten könne. Wir hatten grosse Sorge, dass er am naechsten Tag tatsaechlich mit irgendwelchen ueber Nacht entstandenen ploetzlich nach Unfaellen auftauchenden Verletzungen auftauchen wuerde, deswegen fuhren wir mit ihm natuerlich gleich ins Krankenhaus. Am Schluss präsentierten sie mir eine nette Rechnung und einen kleinen Zettel der besagte, dass es dem jungen Mann blendend gehe. Diese Vorkehrungen mussten wir treffen, da der junge etwas daemliche Angefahrene zum Glueck dem Taxifahrer freudestrahlend erzaehlte, dass er aus „der reichen Auslaenderin sehr viel Schadensersatzgeld herauspressen“ wuerde, wenn es sein muss mit Hilfe seines Cousins, der Anwalt ist. Auch wenn man im Endeffekt recht behaelt, ist es in einem Land wie Paraguay nicht ratsam in so ein Verfahren verwickelt zu werden, deswegen versuchten wir verzweifelt uns irgendwie gegen diese Eventualitaeten abzusichern, ohne dabei Kosten zu scheuen. Am nächsten Morgen wurde mir dann die dicke Rechnung der Reperatur seines Motorrädchens präsentiert, die sein Bruder „sehr sehr günstig“ für ihn gemacht hätte. Ich hatte in diesem Moment grosse Zweifel, ob dies das Motorrad im Gesamtwert überhaupt wert ist und versuchte einen Abschlag zu verhandeln. Meine Lust und Laune sich mit einem beruflich als Knochenzersäger Tätigen, der zudem weiss, wo das eigene Büro ist, anzulegen war allerdings nicht besonders gross. Zähneknirschend zahlte ich die horrende Rechnung und liess mir von ihm unterschreiben, dass er gesund und munter ist, ich für jeglichen Schaden aufgekommen bin und er keinerlei weitere Forderungen an mich stellen wird. Sehr glücklich war ich endlich aus der Sache herausgekommen zu sein, als mir meine Chefin mitteilte, dass mit einer blossen Unterschrift garnichts endgültig vom Tisch ist. Vor dem Notar muss diese geleistet werden, damit sie nicht anfechtbar ist. Da bleibt mir nichts als Bangen und Hoffen, dass der angefahrene Paraguayer nicht doch noch auf dumme Gedanken kommt.